Ketogene Diät – Warum dieser Hype?
Egal ob von Fitnessbegeisterten, vermeintlichen Diabetes-Expert*innen oder selbsternannten Ernährungsgurus – immer wieder wird die ketogene Diät empfohlen – für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit, um abzunehmen und in Shape zu kommen oder den Blutzuckerspiegel zu drosseln (?!). Aber reicht es denn wirklich aus, einfach die Kohlenhydrate wegzulassen? Und welche Auswirkungen hat ein Kohlenhydratentzug auf den Körper?
Keto – Was?
Die ketogene Diät ist eine Ernährungsweise, die fettreich und extrem kohlenhydratarm ist. Dies führt dazu, dass der Körper auf die Produktion von Ketonkörpern angewiesen ist, um seine Energiebedürfnisse zu decken. Dieser Zustand wird als Ketose bezeichnet. Man befindet sich in einem fastenähnlichen Zustand.
Ketonkörper sind chemische Verbindungen, die vom Körper produziert werden, wenn der Blutzuckerspiegel niedrig ist und der Körper auf Fett als Energiequelle umsteigt. Bei einer ketogenen Diät wird Nahrungsfett zur Energiegewinnung herangezogen. Während einer langen Hungerperiode würde der Körper Speicherfett angreifen und daraus Ketonkörper produzieren.
Im Grunde genommen ist dies eine Überlebensstrategie des menschlichen Körpers. Ansonsten würden wir nicht lange überleben können, sobald unsere Kohlenhydratspeicher entleert sind, denn unser Gehirn kann normalerweise nur Glukose als Energieträger heranziehen. Nach einigen Tagen kann sich das Gehirn jedoch umstellen und auch mit den gebildeten Ketonkörpern was anfangen.
Wann macht eine ketogene Diät Sinn und wie wird sie durchgeführt?
Jetzt fragt man sich vermutlich, warum man diesen Mechanismus gewollt herbeiführen möchte… Naja, viele Diäten haben tatsächlich einen ernährungsmedizinischen Hintergrund, waren ursprünglich aber nie zum Abnehmen gedacht. In diesem Fall wird die ketogene Diät bei Kindern und Jugendlichen mit Epilepsie eingesetzt, um gerade in der Entwicklungsphase epileptische Anfälle zu vermeiden. Außerdem kann die ketogene Diät bei manchen angeborenen Stoffwechseldefekten angewendet werden. In diesem Fall muss aber das Verhältnis von Fett zu Kohlenhydraten und Eiweiß auf den Gramm genau stimmen und darf davon nicht abweichen. Ich (Leonie) kann aus Erfahrung sagen, solche Rezepte zu berechnen, ist absolut nicht lustig und bedarf einiges an Übung. 😀
Eine klassische ketogene Diät basiert auf dem Verhältnis von 4:1 (Fett zu Kohlenhydrate und Eiweiß). Dabei werden 90 % des Energiebedarfs durch Fett gedeckt. Im medizinischen Setting sind im Vorhinein Untersuchungen notwendig und die ketogene Diät muss durch einen Arzt/eine Ärztin verordnet werden. Zusätzlich werden etwaige Vitamine/Mineralstoffe sowie Ballaststoffe supplementiert. Eine Einschulung durch qualifiziertes Fachpersonal und Kontrolltermine sind dabei unerlässlich!
Wann macht eine ketogene Diät keinen Sinn?
Auf der anderen Seite wird heutzutage aber mit ketogener Ernährung zur Gewichtsabnahme geworben. Man verspricht sich davon einen rasche Gewichtsverlust bei gleichzeitig hoher Leistungsfähigkeit. Die Empfehlungen kommen meist mit einer Tabelle- welche Lebensmittel empfohlen sind und welche nicht. Eventuell gibt es auch eine Limitierung der Kohlenhydrate in Gramm. Ein genaues Verhältnis wird aber selten angegeben. In diesem Fall werden auch die Durchführenden nicht umfassend betreut, sondern sind mit der Durchführung auf sich allein gestellt.
Die anfängliche Gewichtsabnahme lässt sich relativ einfach erklären. Wir können in unseren Muskeln und in der Leber Kohlenhydrate speichern. Dieser Speicher nennt sich Glykogen. Genauso wie sich Reis mit Wasser vollsaugt, so bindet auch Glykogen sehr viel Wasser. Wenn wir nun unsere Kohlenhydratspeicher leeren, geht gleichzeitig sehr viel Wasser verloren. Dies macht sich auf der Waage bemerkbar und wir sehen unter Umständen auch leaner aus. Ob man langfristig damit zurechtkommt, ist halt die Frage…
Im Diabetesbereich beispielsweise wird damit geworben, dass man mit einer ketogenen Diät Blutzuckerschwankungen vermeidet und die Insulinausschüttung um einiges reduziert wird. Dazu sagen muss man, dass auch durch den Konsum von Proteinen der Insulinspiegel etwas ansteigt. Außerdem darf der Blutzuckerspiegel auch bei einer Insulinresistenz ansteigen – nur eben gleichmäßig. Tatsache ist, dass es lt. aktuellen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen bei Diabetes oder Insulinresistenz nicht notwendig ist, komplett auf Kohlenhydrate zu verzichten. Dafür gibt es viel einfachere Lösungen, die du mit einer Diätolog*in oder Diabetesberater*in besprechen kannst. Kurz gesagt, kommt es immer auf die Menge, Kombination und Art der Kohlenhydrate sowie auf die Mahlzeitenfrequenz an. Wenn man das beachtet und einige Anpassungen vornimmt, so ist es nicht notwendig, ketogen zu essen! Auch laut der Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetesgesellschaft liegt der Fokus auf der Reduktion von einfachen Kohlenhydraten bzw. zuckerreichen Lebensmitteln und gleichzeitig stark verarbeiteten Lebensmitteln. Komplexe Kohlenhydrate bzw. ballaststoffreiche Lebensmittel werden hingegen empfohlen. Außerdem ist bislang keine spezielle Ernährungsform (d.h. low carb, low fat, Intervallfasten, …) einer anderen überlegen.
Für stoffwechselgesunde Personen ist die ketogene Diät ernährungsphysiologisch betrachtet ebenfalls nicht sinnvoll, da sie den Körper in einen Zustand versetzt, der normalerweise nur bei einem Mangel an Nahrung auftritt. Zudem kann eine langfristige ketogene Ernährung auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben, wie zum Beispiel Nährstoffmängel oder erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte. Warum? Wenn Stärkebeilagen, stärkehaltiges Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst größtenteils wegfallen, dann bleibt außer tierischen Produkten und eventuell ein kleiner Anteil an wasserreichen Gemüsesorten nicht mehr viel übrig. Wir wissen, dass Fleisch, Wurst, Butter und Co. einen sehr hohen Gehalt an gesättigten Fettsäuren haben, welche sich negativ auf den Cholesterinspiegel auswirken. Zusätzlich können wir mit der ketogenen Diät unseren Ballaststoffbedarf nicht adäquat decken, dies wirkt sich langfristig auf die Darmgesundheit aus. Ballaststoffe sind wesentlich an einer guten Stuhlkonsistenz beteiligt und fördern das Wachstum guter Darmbakterien. Diese haben wiederum Einfluss auf unser Immunsystem und die Psyche und können unter anderem vor Darmkrebs schützen. Ein weiterer Grund, warum der Verzicht auf Kohlenhydratquellen nicht viel Sinn macht, ist ein möglicher Mangel an B-Vitaminen. Vor allem Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte sind gute B-Vitamin-Spender. B-Vitamine spielen unter anderem bei der Reizweiterleitung und der Bildung von Hormonen eine Rolle und wirken sich somit auch wieder auf unsere Psyche aus. Es kommt also durchaus auch auf die Art der Durchführung an. Eine ketogene Diät kann natürlich auch Gemüse beinhalten, häufig fokussiert man sich jedoch auf fettreiches Fleisch, Fisch, Eier und fettreiche Milchprodukte.
Es ist außerdem bekannt, dass die ketogene Stoffwechsellage die Stresshormone ansteigen lässt – vor allem Cortisol und Adrenalin. Dieser Anstieg von Stresshormonen ist normalerweise vorübergehend und normalisiert sich, wenn sich der Körper an den Zustand der Ketose angepasst hat. In der Regel sollte dies keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben, sofern der Körper ausreichend mit Nährstoffen und Flüssigkeit versorgt wird. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Stresshormone in großen Mengen schädlich sein können und langfristig zu einer Reihe von Gesundheitsproblemen führen können. Gerade bei menstruierenden Personen kann ein zu hohes Level an Stresshormonen zu Zyklusstörungen führen. Wenn man also zusätzlich zu einer ketogenen Ernährung High Intensity Trainings (noch mehr Stress!!) macht und alle möglichen To do’s zu erledigen hat, dann kann das in Summe einfach zu viel sein – selbst wenn es von der Gesellschaft als “healthy lifestyle” betrachtet wird. Dem sollte man sich einfach bewusst sein!
Wie schaut es mit Nahrungsergänzungsmitteln in diesem Bereich aus?
Sogenannte exogene Ketonkörper sollen nun denselben Zustand herbeiführen, ohne dass man einer strengen Diät folgen muss. Eine schnelle Gewichtsabnahme und mehr Fokus im Alltag und beim Sport sind das Ziel dieser Supplements.
In einem Review aus dem Jahr 2020 wurde festgestellt, dass die Einnahme von exogenen Ketonen den Ketonspiegel im Blut erhöhen kann, was den Körper in einen Zustand der Ketose versetzt. Darüber hinaus wurde auch gezeigt, dass exogene Ketonen die kognitive Funktion verbessern und die Leistung bei Ausdauerübungen erhöhen können.
Allerdings gibt es auch einige Einschränkungen bei der Einnahme von exogenen Ketonen. Häufige Nebenwirkungen sind Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Außerdem können Ketonkörper zu Dehydrierung führen, da der Körper mehr Flüssigkeit ausscheidet. Hier sollte man gut auf die Dosierung acht geben. Auch bei exogenen Ketonen kommt es zur Erhöhung des Cholesterinspiegels und stellt damit ein Risiko für Herzkreislauferkrankungen dar. Wer also hier von einer familiären Vorgeschichte weiß oder bereits selbst von einem erhöhten Cholesterinspiegel betroffen ist, sollte eher Abstand davon nehmen. Es gibt unter anderem Bedenken hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit, da noch nicht genügend Langzeitstudien durchgeführt wurden.
Fazit
Die Ketose beschreibt eine veränderte Stoffwechsellage, in der statt Glukose sogenannte Ketonkörper zur Energiegewinnung herangezogen werden. Durch das Weglassen von Kohlenhydraten kann ein relativ schneller Gewichtsverlust eintreten, da unter anderem viel Wasser ausgeschieden wird. Im ernährungsmedizinischen Bereich wird die ketogene Diät vor allem bei Epilepsie eingesetzt. Hier sind jedoch eine Überwachung und Schulung durch Ernährungfachkräfte sowie Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln unerlässlich. Bei Insulinresistenz oder Übergewicht ist eine ketogene Diät aus heutiger Sicht nicht notwendig, beziehungsweise nicht empfohlen, da sie auch zahleiche negative Folgen mit sich zieht. Lass dich in diesem Fall also bitte von Fachpersonal beraten, wenn du die Empfehlung bekommst, eine kohlenhydratarme Diät / Ernährungsform durchzuführen!
Persönliche Meinung (Holly)
Die ketogene Ernährung (als Ernährungstrend oder -Philosophie) sorgt bei mir für einige „Red Flags“:
- Als ganzheitlich arbeitende Ernährungsberaterin betrachte ich den oftmals unreflektierten hohen Konsum von tierischen Produkten sehr kritisch. Tierethik und Tierliebe schaut bei täglich großen Mengen an Fleisch, Fisch und Eiern anders aus. Dass dann auf eher billige Massenproduktion gesetzt wird, um sich diesen Ernährungsstil auch zu leisten, sehe ich sehr kritisch und finde es durchaus egoistisch – da ein gesunder Körper anders erreicht werden kann.
- Jede Form von Verzicht und Einschränkung kann zu einem gestörten Essverhalten führen. Wenn wir Dinge weglassen, die wir eigentlich gerne essen, schränkt es uns ein – was längerfristig zu Essanfällen und schlechtem Gewissen führen kann.
- Unreflektierte Keto-Experimente können zu einer zu geringen Zufuhr an Ballaststoffen und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen führen – kritisch, für einen gesunden Darm und Zellen!
- Abschließend: ich nehme keine Beratungsanfragen für die Keto-Diät, sorry. Ich bin eher damit beschäftigt, Personen da wieder heraus zu holen, die dann selbst darauf gekommen ist, dass es ihnen mehr geschadet hat.
Dieser Beitrag wurde gemeinsam mit Diätologin Leonie Meil erstellt. Vielen Dank für deine Unterstützung, Leonie! Ernährungstherapeutische Hilfe bekommst du bei ihr – hier geht es zu ihrem Kalender, um ein kostenfreies Erstgespräch zu buchen: https://calendly.com/leoniemeil/30min
Quellen:
Paoli, A., Rubini, A., Volek, J. S., & Grimaldi, K. A. (2013). Beyond weight loss: a review of the therapeutic uses of very-low-carbohydrate (ketogenic) diets. European journal of clinical nutrition, 67(8), 789-796.
Newman, J. C., & Verdin, E. (2014). Ketone bodies as signaling metabolites. Trends in endocrinology and metabolism, 25(1), 42-52.
Figueroa-Lopez, K. J., Cabedo, L., Lagaron, J. M., & Torres-Giner, S. (2020). Development of Electrospun Poly(3-hydroxybutyrate-co-3-hydroxyvalerate) Monolayers Containing Eugenol and Their Application in Multilayer Antimicrobial Food Packaging. Frontiers in Nutrition, 7. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnut.2020.00140
Stubbs, B. J., Cox, P. J., Evans, R. D., Santer, P., Miller, J. J., Faull, O. K., Magor-Elliott, S., Hiyama, S., Stirling, M., & Clarke, K. (2017). On the Metabolism of Exogenous Ketones in Humans. Frontiers in Physiology, 8, 848. https://doi.org/10.3389/fphys.2017.00848
Kellerer, M. (2021). S2 Praxisempfehlungen DDG – Diabetologie und Stoffwechsel. Thieme. file:///C:/Users/lmeil/Downloads/dus_2021_S02_Praxisempfehlungen_Ernaehrungstherapie_bei_Typ-2-Diabetes_Rubin.pdf