Mittlerweile gibt es sie wie Sand am Meer und immer öfter wird einem suggeriert, dass ein gesundes Leben ohne gar nicht mehr möglich ist… Die Rede ist von Nahrungsergänzungsmittel (NEM) bzw. Supplements! Sollte man überhaupt Nahrungsergänzungsmittel nehmen? Was ist sinnvoll und was nicht? Gibt es denn ein Zuviel? Und wie erkennt man selbst, ob etwas nur eine Marketingstrategie oder tatsächlich medizinisch begründet ist? Die Antworten darauf findest du hier!
Wofür brauchen wir Nahrungsergänzungsmittel (nicht)?
Wie der Name schon sagt, handelt es sich hierbei um Ergänzungen zur alltäglichen Ernährung. Die benötigen wir dann, wenn wir unseren Nährstoffbedarf nicht in Form von natürlichen Lebensmitteln decken können.
Wenn bereits ein Mangel im Blut feststellbar ist, dann kann die normale Ernährung das nicht mehr so schnell wie nötig wieder ausgleichen und es braucht ein Präparat, welches den Nährstoff in hochdosierter Form enthält. Zu den kritischen Nährstoffen gehören zum Beispiel Eisen (vor allem bei menstruierenden Personen) und Vitamin D (im Winter, besonders bei Neugeborenen). Außerdem kann es sein, dass wir einen Nährstoff gar nicht aufnehmen und daher schon präventiv Supplemente einnehmen müssen. So verhält es sich mit Vitamin B12 bei der veganen Ernährung. Daneben kann ein erhöhter Bedarf an Nährstoffen eine Nahrungsergänzung erfordern, dies kann in der Schwangerschaft (Folsäure), bei Sportler*innen (Magnesium, Elektrolyte, Eiweiß) oder bei verschiedenen Erkrankungen der Fall sein.
Es gibt jedoch auch die Annahme, dass all unsere Lebensmittel immer weniger Nährstoffe enthalten und somit über kurz oder lang JEDER Supplemente einnehmen muss. Man darf dies aber durchaus differenzierter sehen und muss sich nicht haufenweise Pillen hineinstopfen. Bevor wir uns über den sinkenden Nährstoffgehalt in unseren Lebensmitteln Gedanken machen, nehmen wir doch lieber einmal unsere Basisernährung unter die Lupe. Tatsache ist, wenn wir ausreichend Gemüse, Obst, ungesättigte Fette und ballaststoffreiche Lebensmittel essen und dabei auch auf Saisonalität und Regionalität achten, so haben wir wirklich den Großteil unseres Bedarfs an Vitaminen und Mineralstoffen gedeckt! Wichtig ist also, dass wir mehr vom Richtigen essen und wir nicht unsere einseitige Ernährung mit Supplementen wiedergutmachen.
Vitamin C haben wir beispielsweise bereits in etlichen Produkten als Antioxidans zugesetzt (in Form von Ascorbinsäure) und im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung ebenfalls in reichlichem Umfang in frischem Obst und Gemüse enthalten. Ein gesunder Mensch braucht also nicht unnötig Vitamin C-Kapseln einwerfen. Alles Überschüssige wird ohnehin wieder ausgeschieden und ist letztendlich nur teurer Urin.
Apropos zu viel… Kann man Supplemente überhaupt überdosieren?
Ja, ein Zuviel kann durchaus schädlich sein! Dabei kommt es grundsätzlich immer darauf an, wie fit die Niere, Darm und die Leber sind, welche für die Ausscheidung zuständig sind. Außerdem besteht ein großer Unterschied zwischen den einzelnen Nährstoffen. Wasserlösliche Vitamine (B-Vitamine, Vitamin C) können – wie der Name schon sagt – über den Urin ausgeschieden werden und können normalerweise keinen großen Schaden anrichten. Fettlösliche Vitamine wie Vitamin A, D, E und K können sich jedoch im Körper anreichern und beispielsweise die Niere belasten, die Blutgerinnung beeinflussen oder die Hautbeschaffenheit verändern. Außerdem treten Vitamine und Mineralstoffe immer in Wechselwirkung mit anderen Nährstoffen im Körper auf. Ein zu viel vom einen kann ein zu wenig vom anderen auslösen. Hier sollte man also nicht wahllos drauflos supplementieren, sondern sich immer an die Empfehlungen des Fachpersonals halten! Außerdem ist eine regelmäßige Kontrolle der Blutwerte erforderlich.
Wem darf ich denn nun vertrauen, wenn es um Nahrungsergänzungsmittel geht?
Das ist eine sehr schwierige Frage… Grundsätzlich muss man sich immer die Interessen der jeweiligen Person oder des jeweiligen Unternehmens anschauen. Leider kann es sein, dass Berater*innen direkt mit einem Nahrungsmittelhersteller in Verbindung stehen und am Umsatz beteiligt sind – da liegt ja quasi auf der Hand, dass sie nicht immer zum Wohle der Klient*innen, sondern zum Wohle der eigenen Brieftasche handeln. Vielfach haben jene Berater*innen auch keine Grundausbildung, sondern wurden vom jeweiligen Unternehmen selbst „unterrichtet“, was ihre Qualifikationen leider nicht gerade aufwertet. Das heißt, man sollte grundsätzlich schon einmal darauf achten, dass die Person, die einem das empfiehlt, auch noch andere Ausbildungen in diesem Bereich vorweisen kann und nicht nur von ihrem Arbeitgeber gebrainwashed wurden
Mittlerweile gibt es auch schon Unternehmen, die sowohl Labor als auch Nahrungsergänzungsmittelhersteller sind. Klingt ja erst einmal praktisch, aber hat doch einen faden Beigeschmack! Auch liegt nahe, dass das Labor ein Interesse daran hat, einen Mangel zu erkennen. Ich empfehle aufgrund dessen also, dass Berater*innen, Labore sowie Nahrungsergänzungsmittel Hersteller unabhängig voneinander arbeiten. Ansonsten kann es einfach passieren, dass einem etwas empfohlen wird, was vielleicht gar nicht unbedingt erforderlich ist oder gar nicht den erwünschten Effekt bringen kann.
Wenn dies aber der Fall ist, dass Berater*innen doch eine Kooperation haben, so kann man auch gut auf die Wortwahl achten. Wenn einem die Produkte einfach nur so angedreht werden, ohne dass das eigene Ernährungsverhalten erfragt wird, dann geht es denjenigen wirklich nur um den Verkauf. Wenn die Person außerdem nicht darauf hinweist, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht das Allheilmittel sind und die Ernährung und der Lebensstil ebenso wichtig sind, dann empfinde ich das als sehr kritisch.
Realtalk aus der Praxis
Auch wir Diätolog*innen/Ernährungswissenschafter*innen sind immer wieder mit Empfehlungen von Nahrungsergänzungsmitteln konfrontiert. Ebenso werden teilweise Seminare von großen Unternehmen gesponsert oder man bekommt Produktproben zugeschickt. Und klar sind wir auch froh, wenn wir vertrauenswürdige Marken an unsere Klient*innen weiterempfehlen dürfen. Jedoch haben wir im Studium einiges über biochemische Vorgänge im Körper, Wirkungen von Vitaminen und Mineralstoffen uvm. gelernt, wodurch wir einfach ein gewisses Vorwissen mitbringen und im Rahmen einer Ernährungsberatung auf individueller Ebene entscheiden können, was notwendig ist und was nicht. Das Einkommen von qualifizierten Fachkräften ist also (in den meisten Fällen) nicht von einem Produktverkauf abhängig und so kann einfach auch die/der Klient*im Vordergrund stehen und im individuellen Fall entschieden werden. Ich spreche hier aber bestimmt nicht für alle, da es natürlich sowohl unter Ärzt*innen als auch unter Therapeut*innen oder Gesundheitsberufler*innen immer Ausnahmen gibt.
Aber auch in der Alternativmedizin wird hier und da ein Zuviel an homöopathischen Mitteln verschrieben… Gerade wenn dieses Produkt dann statt der verordneten Medikamente eingenommen oder mit der schulmedizinischen Therapie nicht abgestimmt wird, kann dies zu Problemen führen. Es sollten also immer alle Karten offengelegt und Empfehlungen auch immer hinterfragt werden. Am meisten stört es mich, wenn ohne das Ernährungsverhalten der Betroffenen zu hinterfragen, Nahrungsergänzungsmittel empfohlen werden. Eventuell kann man nämlich mit einer Ernährungsumstellung oder mit der Ergänzung von natürlichen Lebensmitteln schon vieles wieder gut machen. Außerdem ist die Nachhaltigkeit einer Ernährungsumstellung so viel mehr gegeben, als wenn man für eine gewisse Zeit einfach irgendwelche Nährstoffpräparate einnimmt…
Es ist also durchaus kompliziert, sich in diesem Dschungel zurechtzufinden, auch für uns Fachkräfte. Deshalb nochmal ein kurzer Überblick, woran du erkennst, dass der Produktverkauf im Vordergrund steht und nicht fachliche Beratung:
- Wenn für jedes ach so kleine Problemchen sofort das passende Produkt bereit steht.
- Wenn ein Problem kreiert wird, worauf dann sofort eine Produktempfehlung folgt.
- Wenn Berater*innen keine qualifizierte Ausbildung im medizinischen Bereich haben.
- Wenn Berater*innen nur mit einer einzigen Firma kooperieren.
- Wenn Berater*innen keine Disclaimer integrieren (sowas wie: “nehmt Nahrungsergänzungsmittel nur, wenn es eine Indikation dafür gibt”)
- Wenn Berater*innen/Firmen Heilversprechen geben (Health Claims).
- Wenn eine Beratung/Untersuchung direkt mit einem Produktverkauf in Verbindung steht.
Bei uns dürft ihr euch sicher sein, dass wir euch keine Pulver einfach so andrehen und natürliche Lebensmittel in jedem Fall Vorrang haben. Außerdem informieren wir euch ausführlich, wofür die Nährstoffe wichtig sind und wo sie euch unterstützen können.
Fazit: Nahrungsergänzungsmittel machen in verschiedenen Lebenslagen absolut Sinn und sollten nicht per se verpönt werden. Jedoch kann man es auch übertreiben! Grundsätzlich kann man sagen, dass Nahrungsergänzungsmittel nur bei einem Mangel, Mehrbedarf oder unzureichender Aufnahme durch die Nahrung erforderlich sind. Alles weitere solltest du mit der Fachkraft deines Vertrauens besprechen und dir eventuell auch eine Zweitmeinung einholen.
Empfehlung
(diese Analogie ist mir, Holly, erst vor Kurzem eingefallen):
Konzentriere dich auf die Basics – wir nennen sie hier mal die Felsen…
- ausreichend für deine Bedürfnisse & Aktivität trinken (kalorienfreie Flüssigkeiten wie Wasser & Tee)
- Tägliche Bewegung, ob es Spaziergänge sind oder Workouts im Gym, Hauptsache, Bewegung!
- Vorwiegend minimal verarbeitete Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte bevorzugen (80% der Basisernährung)
- 7-9 Stunden Schlaf
- Genug / mehr Protein & Ballaststoffe täglich einbauen
Supplements bzw. NEM sind eher Kieselsteine oder Sand im Vergleich zu den obigen Punkten. Suche also bitte nicht nach der ultimativen Lösung im Sand, wenn du den Felsen nicht ausreichend Aufmerksamkeit & Wertschätzung schenkst.
Dieser Beitrag wurde gemeinsam mit Diätologin Leonie Meil erstellt. Vielen Dank für deine Unterstützung, Leonie! Ernährungstherapeutische Hilfe bekommst du bei ihr – hier geht es zu ihrem Kalender, um ein kostenfreies Erstgespräch zu buchen: https://calendly.com/leoniemeil/30min